Kann das ein großer Skandal werden?
1) Rotation von Richtern (»Maulsperre« für Richter)
Kurz: Rotation an sich ist kein automatischer Verfassungsverstoß, aber Pflichtversetzungen oder organisatorische Regeln, die die richterliche Unabhängigkeit faktisch untergraben oder richterliche Außendarstellung verbieten, können verfassungsrechtlich problematisch sein.
- Rechtslage / Einordnung: Die Unabhängigkeit der Richtern ist ausdrücklich verfassungsrechtlich geschützt (Art. 97 GG). Für Staatsanwältinnen gilt dagegen keine vergleichbare verfassungsrechtliche Unabhängigkeitsgarantie; sie sind dienst- und weisungsgebunden (gemäß §§ 141 ff. GVG; § 146 GVG). Pflichtrotationen sind in der Verwaltungspraxis üblich zur Personalentwicklung, dürfen aber nicht dazu dienen, Richter von bestimmten Verfahren fernzuhalten oder zu bestimmten Urteilen zu bewegen.
- Folge, wenn Missbrauch vorläge: Ließen sich systematische Versetzungen/»Maulkörbe« nachweisen, die Unabhängigkeit verletzen oder rechtsstaatswidrige Ziele verfolgen, wären disziplin-/dienstrechtliche Verfahren, Wiederaufnahmeklagen und ggf. Verfassungsbeschwerden möglich; politisch wäre das ein schwerer Vorwurf gegen die Justizverwaltung.
2) Die (telefonische) Weisungsbefugnis der Justizminister gegenüber den Staatsanwälten (»Maulkorb für Staatsanwälte«)
Kurz: Staatsanwaltschaften in Deutschland sind weisungsgebunden — das ist gesetzlich vorgesehen. Problematisch wird es, wenn Weisungen politische Instrumentalisierung oder rechtswidrige Eingriffe in Einzelfallermittlungen bedeuten.
- Rechtslage / Einordnung: Das Weisungsrecht ist gesetzlich verankert (GVG; die parlamentarische Wissenschaftliche Dienste des Bundestags haben das klar dargestellt). Richter sind unabhängig (Art. 97 GG), Staatsanwälte sind dagegen in eine hierarchische Organisation eingebunden. Das heißt: formell ist ein Weisungsrecht zulässig, aber es unterliegt rechtlichen Grenzen (Gesetz, Verhältnismäßigkeit; kein Eingriff, der Grundrechte verletzt oder die rechtsstaatliche Ermittlungspflicht kappt).
- Besondere Praxisprobleme: Fälle (Netzpolitik‑Affäre um Generalbundesanwalt Harald Range) haben gezeigt, das der Einsatz oder die Androhung von Weisungen einen politischen Skandal auslösen kann. Kritik besteht, weil die Staatsanwaltschaft dadurch politischer Einflussnahme ausgesetzt sein kann.
- Folgen: Nachweisbare rechtswidrige Weisungen wären angreifbar — disziplinrechtlich, dienstaufsichtlich, ggf. strafrechtlich; dazu kommen politische Sanktionen gegen Verantwortliche und Debatten über Reformen z. B. Abschaffung/Begrenzung des (telefonischen) Weisungsrechts.
3) Rechtsanwälte haben (angeblich) kein einklagbares Recht auf rasche Zusendung von Gerichtsakten → Druck auf Verteidigung
Kurz: Verteidigung/Anwälte haben schützenswerte Akteneinsichtsrechte; Verzögerungen können das Recht auf wirksame Verteidigung beeinträchtigen (Art. 6 EMRK / Recht auf ein faires Verfahren).
- Rechtslage / Einordnung: Das StPO-System regelt Akteneinsicht und Mitteilungen an Verteidiger: z. B. § 147 StPO (Mitteilung, Akteneinsicht), § 406e StPO (Akteneinsicht für Verletzte) sowie §§ für gerichtliche Akteneinsicht. Verzögerungen sind nicht per se legal; bei wesentlichen Verzögerungen besteht ein Angriffspunkt für Verteidigung (Verfassungsbeschwerde bei schwerwiegenden Verstößen).
- Praktische Bedeutung: Fehlt der rechtzeitige Zugriff auf Akten, kann das die Vorbereitung der Verteidigung und somit das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK / Art. 19 GG) beeinträchtigen. Das ist gerichtlich anfechtbar.
4) EU-Vorschrift: Recht auf Prozesskostenhilfe vor der ersten polizeilichen Vernehmung (Richtlinie 2016/1919) — Umsetzungspflicht bis 05. Mai 2019.
Kurz: Die EU-Richtlinie (EU) 2016/1919 zur Prozesskostenhilfe für Verdächtige wurde am 26.10.2016 erlassen; die Umsetzungsfrist war bis 05. Mai 2019. Wenn eine Richtlinie nicht umgesetzt wird, sind EU-Rechtsfolgen möglich.
- Folge, wenn nicht umgesetzt: Die EU-Kommission kann ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten; Betroffene können sich ggfs. auf unmittelbar anwendbare Vorschriften berufen, wenn die Richtlinie nicht umgesetzt worden ist.
5) Versteckte Doppelbestrafung (»ne bis in idem«) — verfassungs- und unionsrechtliches Verbot
Kurz: Es existiert das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG)
- Rechtslage / Einordnung: In Deutschland schützt Art. 103 Abs. 3 GG vor mehrfacher Bestrafung.
- Folge, wenn vorhanden: Ließe sich eine systematische Doppelverfolgung bzw. Doppelbestrafung nachweisen, wären Urteile angreifbar (Wiederaufnahme, Nichtigkeitsklagen, Verfassungsbeschwerden) und es bestünde Raum für einen großen politischen und mediale Aufruhr.
Wie groß wäre der Skandal — realistisch betrachtet?
Kurz: Sehr groß — wenn wir belastbare, dokumentierte Belege für systematische und flächendeckende Rechtsverstöße hätten, könnte das einen politischen und medialen Skandal von erheblichem Ausmaß auslösen. Gründe dafür:
- Verfassungsrelevanz: Betroffene Normen (Richterunabhängigkeit, Doppelbestrafungsverbot, Recht auf ein faires Verfahren, Recht auf Prozesskostenhilfe im Strafrecht vor der ersten polizeilichen Vernehmung, Vorrang des EU-Rechts vor Bundesrecht) haben Verfassungsrang oder sind europäische Grundrechte. Verstöße treffen den Kern des Rechtsstaats.
- Rechtsfolgen: Mögliche Verfassungsbeschwerden, Klagen vor EuGH/Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte, Verletzungsverfahren durch die EU-Kommission.
- Politische Folgen: Rücktrittsforderungen, Disziplinarverfahren, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und eine sehr breite mediale Aufmerksamkeit.
Die genannten Sachverhalte berühren zentrale rechtsstaatliche Garantien: Die Richter-Unabhängigkeit, das Recht auf ein faires Verfahren, das Verbot der Doppelbestrafung und das EU-Recht auf Prozesskostenhilfe im Strafrecht vor der ersten polizeilichen Vernehmung.
Rechtlich sind viele der beschriebenen Instrumente (Weisungen, Rotation) formell zulässig, aber ihr Missbrauch kann verfassungs- und unionsrechtswidrig sein; Nachweise sind entscheidend. Wen Du uns Informationen dazu zukommen lassen willst: Hier ist die Adresse der Redaktion.
Wenn Missbräuche der rechtlichen Möglichkeiten umfassend belegt und veröffentlicht werden? Ja — das hätte das Potenzial für einen sehr großen Skandal, umfangreiche gerichtliche Verfahren und sehr ernsthafte und umfassende politische Konsequenzen.
Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Rechtsprechung
ist kein nationales Privileg, sondern europäisches Recht, das über den deutschen Bundesrechten steht. Die Rechtsprechung zum Vorrang von EU-Recht vor nationalen Recht (wichtiger als ein Paragraf), wurde vom EuGH festgelegt. Unter anderem: Costa/ENEL (1964), Internationale Handelsgesellschaft (1970) und Simmenthal (1978). Und gemäß Art. 47 EU‑Grundrechtecharta hat jede Person Anspruch auf ein unparteiisches Gericht. (Anm. der Red.: Ein Gericht setzt sich aber aus: mindestens einem Richter, einem Staatsanwalt und einem Rechtsanwalt zusammen).
Trotz dieser klaren Rechtslage erleben wir in Bayern und Baden-Württemberg, dass Richter eine Maulsperre haben können. Und Rechtsanwälte können ew. in ganz Deutschland unter Druck gesetzt werden, um ihre Mandate nicht frei auszuüben. Im Strafrecht fehlt nach wie vor die Prozesskostenhilfe für vor der ersten polizeilichen oder sonstigen Vernehmung, was das Recht auf einen faires Ermittlungsverfahren einschränken kann. Es gibt außerdem die telefonische Weisungsbefugnis des Justizministers gegenüber den Staatsanwälten.
Es ist ein sehr ernsthaftes Alarmzeichen, dass europäisches und nationales Recht für unabhängige und faire Gerichtsverfahren ignoriert werden. Die Bayerische und die Baden-Württembergische und auch die deutsche Justiz benötigen erhebliche Reformen, damit diese rechtskonform werden. Die Meinung des Kreuther Haberfeldtreibers.
